Darf der Leistungserbringer seinen Kun­den­stamm ver­kau­fen?

von Ronald Hüning

Betriebsübergabe

Vor dem Hintergrund des Beschlusses des BGH sowie vor allem der vorangegangenen Entscheidung des OLG Nürnberg vom 26.11.2019, Az. 6 U 713/19, ist bei der Gestaltung der Vertragsklauseln hinsichtlich der Übergabe des Kundenstamms auch beim Verkauf von Sanitätshäusern im Ganzen oder dem Verkauf deren Kundenstamms Vorsicht geboten.

Inhalt der Entscheidung
Der Kläger ist niedergelassener Zahnarzt. Die Beklagte betrieb ebenfalls eine Zahnarztpraxis. Da die Beklagte ihre Praxis aufgeben wollte, unterzeichneten die Parteien unter anderem einen „Kaufvertrag Patientenstamm“. Darin verpflichtete sich die Beklagte, ihre rund 600 Patientinnen und Patienten umfassende Patientenkartei mit sämtlichen Krankenunterlagen an den Kläger zu übereignen, soweit eine schriftliche Einwilligungserklärung der Patienten vorlag. Unabhängig von einer Einwilligung sollte der Kläger die Patientenkartei in einem verschlossenen Aktenschrank bzw. auf einem passwortgeschützten Datenträger für die Beklagte in Verwahrung nehmen. Die Parteien vereinbarten somit ein sog. „Zwei-Schrank-Modell“, welches in vielen Praxiskaufverträgen zur Anwendung kommt. Die Beklagte sollte ein Rundschreiben an ihre Patienten versenden, indem sie den Kläger als weiterbehandelnden Arzt empfehlen würde. Zudem sollten die Anrufe auf dem Telefonanschluss der Beklagten an den Kläger umgeleitet werden und eine Weiterleitung der Internetseite auf die Domain des Klägers erfolgen. Als Kaufpreis verpflichtete sich der Kläger, an die Beklagte 12.000 Euro zu zahlen. Soweit ein Vorgehen, wie es auch beim Verkauf von Sanitätshäusern nicht unüblich ist: Der Kundenstamm wird gesondert bewertet und eigenständig geregelt, da dieser als immaterieller Wert (Goodwill) auch abgeschrieben werden soll.

Verkauf des Kundenstamms strafbar?
Das OLG Nürnberg war der Ansicht, dass die Vereinbarung der Parteien den objektiven Tatbestand der §§ 299a Nr. 3, 299b Nr. 3 StGB erfüllt. Nach § 299a Nr. 3 StGB macht sich strafbar, wer als Angehöriger eines Heilberufs im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufs einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er bei der Zuführung von Patienten einen anderen im Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge. Spiegelbildlich ist dann der § 299b Nr. 3 StGB aufgebaut, der die Bestechung im Gesundheitswesen unter Strafe stellt. Eine Strafbarkeit nach den §§ 299a, b StGB ist beim Verkauf eines Sanitätshauses im Ganzen oder des Kundenstamms allerdings auszuschließen. Bei den Gesundheitshandwerkern handelt es sich nicht um „taugliche Täter“ im Sinne dieser Vorschriften. Das Gesetz setzt hier einen Heilberufsangehörigen wie z. B. Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, aber auch Physiotherapeuten, Orthoptisten oder Podologen voraus. Das OLG Nürnberg ließ die Revision zu, da der BGH nach der Einführung der Strafnormen zur Korruption im Gesundheitswesen sich noch nicht zur Zulässigkeit eines Verkaufs eines Patientenstamms geäußert hatte.

Verstoß gegen DSGVO?
Zudem äußerte das OLG erhebliche Bedenken an der Zulässigkeit des „Zwei- Schrank-Modells“ soweit bei Übergabe der Patientenkartei noch nicht die Einwilligung des jeweiligen Patienten vorliegt. Für Ärzte als Berufsgeheimnisträger könnte sich hier zudem eine Strafbarkeit nach § 203 StGB ergeben. Das OLG zog allerdings auch in Erwägung, dass die Übergabe von Patientenakten zur bloßen Verwahrung ohne die (vorherige) Einwilligung des Patienten gegen Art. 6 Abs. 1 sowie Art. 9 Abs. 1 DSGVO verstößt. Danach ist die Verarbeitung von Gesundheitsdaten grundsätzlich (ohne Einwilligung) untersagt. Eine Verarbeitung liegt gem. Art. 4 Abs. 2 DSGVO vor, wenn Daten entweder offengelegt oder gespeichert werden. Bereits die Entgegennahme eines Datenträgers zur Aufbewahrung kann Datenunter den Begriff „Speicherung“ fallen. Für die „Offenlegung“ reicht es aus, wenn einem Dritten auch nur die Möglichkeit der Kenntnisnahme verschafft wird. Da die DSGVO als europäisches Gemeinschaftsrecht unmittelbar anwendbar ist – im Gegensatz zu europäischen Richtlinien – steht es inländischen Gesetzen gleich. Die Folge hieraus ist ebenfalls die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts nach § 134 BGB. Diese Frage hat das OLG bedauerlicherweise offengelassen, da es sich auf die Strafbarkeit nach den §§ 299a, b StGB gestützt hat. Mit seinen kritischen Ausführungen zum „Zwei-Schrank-Modell“ hat es aber genügend Anlass gegeben, sich mit den entsprechenden Vertragsklauseln intensiv auseinanderzusetzen.

In jedem Fall berufsrechtswidrig
Der BGH hat die vom OLG Nürnberg aufgeworfenen Fragen auch nicht beantwortet, da die Vereinbarung der Parteien – so das Gericht – bereits eindeutig gegen § 8 Abs. 5 der Berufsordnung für Zahnärzte verstoße; dieser Regelung entspricht der § 31 MBO-Ä (Musterberufsordnung der Ärzte). Danach ist es Ärzten nicht gestattet, für die Zuweisung von Patienten ein Entgelt oder andere Vorteile zu fordern, sich oder Dritten versprechen oder gewähren zu lassen oder selbst zu versprechen oder zu gewähren. Nach § 31 Abs. 2 MBO-Ä dürfen auch nicht ohne hinreichenden Grund bestimmte Ärzte, Apotheken, Heil- und Hilfsmittelbringer oder sonstige Anbieter empfohlen werden. Der BGH hat demgemäß festgestellt, dass es sich bei der Vorschrift des § 8 Abs. 5 der Berufsordnung für Zahnärzte um ein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB handele, sodass der Kaufvertrag nichtig ist.

Auswirkungen für die Praxis
Mit dieser Entscheidung ist ein isolierter Verkauf eines Patientenstammes einer Arztpraxis praktisch nicht mehr möglich. Vertragsklauseln, in denen sich der Verkäufer verpflichtet, an der Überleitung des sog. Goodwills mitzuwirken, werden zukünftig nicht nur berufs- und vertragsarztrechtlich, sondern auch strafrechtlich im Hinblick auf die Korruptionstatbestände auf dem Prüfstand stehen. Die Entscheidungen haben aber gerade nicht nur Auswirkungen auf Praxiskaufverträge. Auch Sanitätshäuser sollten bei der Abfassung etwaiger Verträge, mit denen ein Kundenstamm übertragen wird, besondere Vorsicht walten lassen. Liegt im Vorfeld nicht die Einwilligung sämtlicher Patienten vor, droht bei der Übergabe ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 DSGVO und somit die Nichtigkeit des Kaufvertrages nach § 134 BGB. Nicht nur, dass die Nichtigkeit eines solchen Vertrages schon für sich allein existenzielle Folgen haben kann, es drohen auch noch die Sanktionen der DSGVO. Ein Verstoß gegen die datenschutzrechtlichen Bestimmungen kann nach Art. 83 DSGVO mit einer Geldbuße von bis zu 20 Mio. Euro bzw. 4 Prozent des Jahresumsatzes geahndet werden. Nach Art. 83 Abs. 1 DSGVO sollen die entsprechenden Geldbußen der Höhe nach wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Bei der Sanktionierung von Datenunter schutzverstößen muss daher mit der Verhängung von empfindlichen Geldbußen gerechnet werden. Das OLG Nürnberg hat zwar in seiner Entscheidung nicht darauf abgestellt, dass gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verstoßen worden ist. Sollte diese Frage zukünftig in einem Verfahren entscheidungserheblich sein, so steht – nach den deutlichen Ausführungen des OLG – zu vermuten, dass die Gerichte einen Verstoß bejahen werden mit der Folge der Unwirksamkeit eines solchen Vertrages. Durch eine sorgfältige Vertragsgestaltung und die Beachtung von datenschutzrechtlichen Bestimmungen im Vorfeld lässt sich dieses Risiko zumindest minimieren. Wie lange Kundendaten, gleich ob isoliert oder im Rahmen eines Unternehmensverkaufs, überhaupt noch an Dritte übertragen werden dürfen, erscheint ohnehin fraglich. Erst jüngst wiesen NDR und SZ darauf hin, dass nach Ansicht der überwiegenden Zahl der Datenschutzbeauftragten die DSGVO eine Weitergabe von Adressen für Marketingzwecke ohne Zustimmung der Betroffenen nicht mehr zulässt.

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© MTD-Verlag 2022 (www.mtd.de) Veröffentlicht in der Fachzeitschrift MTD Medizintechnischer Dialog

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