Abrechnungs­betrug/ Leistungs­erbringung trotz fehlender formaler Zulassung

von Ronald Hüning

Das Strafgesetzbuch winkt

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Nichtannahmebeschluss vom 5. Mai 2021 (2 BvR 2023/20) das Urteil des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 19. August 2020 (5 StR 558/19) bestätigt. Mit seinem Grundsatzurteil hat der 5. Strafsenat einen Vermögensschaden auf Seiten der Sozialversicherungsträger bzw. der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) angenommen, soweit die jeweilige Abrechnung fehlerhaft war. Ob die Leistung ordnungsgemäß erbracht worden war, spielte für die Annahme, dass ein Abrechnungsbetrug vorlag, keine Rolle.

Zugrunde liegender Sachverhalt
Das Landgericht (LG) Hamburg hatte einen Arzt und einen Apotheker jeweils zu Freiheitsstrafen verurteilt, da ihnen Abrechnungsbetrug nach § 263 StGB vorgeworfen wurde. Beide hatten gegen Vorschriften des SGB V verstoßen; hier gegen § 95 Abs. 1a SGB V. Die Richter waren zu der Überzeugung gelangt, dass der Apotheker die Gründungsvoraussetzungen eines medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) unzulässig umgangen hatte. Dem Apotheker war bewusst, dass er sich nicht an einem medizinischen Versorgungszentrums beteiligen durfte. Um dennoch Einfluss auf das Verordnungsverhalten in diesem MVZ zu nehmen, schaltete er einen Arzt als „Strohmann“ ein. Zwischen beiden wurde vereinbart, dass die Gewinne aus dem MVZ an den Apotheker abgeführt wurden. Zudem erhöhten sich die Umsätze seiner Apotheke signifikant, insbesondere durch Verordnungen von Ärzten des MVZ. Obwohl die Beteiligten wussten, dass die Voraussetzungen zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung für das MVZ nicht vorlagen und somit die erbrachten Leistungen nicht abrechnungsfähig waren, wurden die Quartalsabrechnungen bei der KV eingereicht. Zudem stellte der Apotheker einer Krankenkasse in seiner Apotheke eingelöste Verordnungen des MVZ in Rechnung. Sowohl die KV als auch die Krankenkasse zahlten auf die Abrechnungen in dem Bewusstsein, dass die Abrechnungen rechtmäßig und abrechenbar waren. Das LG Hamburg verurteilte die Beteiligten (u. a. auch noch den ursprünglichen Mehrheitsgesellschafter des MVZ) jeweils zu Freiheitsstrafen. Gegen diese Verurteilungen hatten die Angeklagten Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt. Dieser hat zwar im Strafausspruch geringfügige Änderungen vorgenommen, ansonsten aber in einem Grundsatzurteil festgestellt, dass bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise dem Sozialversicherungsträger bzw. der Kassenärztlichen Vereinigung ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB entsteht, soweit auf fehlerhafte Abrechnungen gezahlt wird. Die von den Beteiligten erhobene Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen. Vielmehr bestätigt das Bundesverfassungsgericht, dass die wahrheitswidrige Abrechnung trotz sozialrechtlichen nicht bestehenden Vergütungsanspruchs den Tatbestand des Betruges gemäß § 263 StGB erfüllt. Soweit Kassenärztliche Vereinigungen oder Krankenkassen auf solche Abrechnungen irrtumsbedingt zahlen, sind sie wirtschaftlich geschädigt.

Abrechnungsbetrug trotz erbrachter Leistungen
Nach § 263 Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält; d. h. jemand wird durch Täuschung dazu bewegt, eine Vermögensverfügung zu treffen, die zu einem Vermögensschaden führt. Allerdings kann eine Tat nur dann bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde (sog. Bestimmtheitsgrundsatz – Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz). Ausgeschlossen in diesem Zusammenhang ist auch jede Rechtsanwendung, die – tatbestandsausweitend – über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht (sog. Entgrenzungsverbot). Problematisch in diesem Zusammenhang war bei dem oben dargestellten Sachverhalt, ob der KV bzw. der Krankenkasse ein Vermögensschaden entstanden war, trotz ordnungsgemäß erbrachter Leistungen. Nach Auffassung der VerD urteilten hatte der Bundesgerichtshof tatbestandsausweitend den Begriff des Vermögensschadens definiert, in dem er rein formal das Vorliegen der sozialrechtlichen Voraussetzungen des Vergütungsanspruchs geprüft hatte. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird ein Vermögensschaden angenommen.

Streng formale Betrachtungsweise des Vermögensschadens
Das  Bundesverfassungsgericht hat diese Auffassung bestätigt: Erst die Anerkennung einer Forderung durch die Rechtsordnung verleiht dieser einen wirtschaftlichen Wert. Besteht die vermeintliche Forderung nicht, auf die gezahlt wird, ist der wirtschaftliche Wert der Gegenleistung – hier die erbrachte Leistung durch den Leistungserbringer – nicht zu berücksichtigen. In seinem Urteil hatte der Bundesgerichtshof auch zu prüfen, ob die zuständigen Mitarbeiter der Kassenärztlichen Vereinigung bzw. der Krankenkasse getäuscht
worden waren. Mit der Einreichung der Sammelerklärungen habe der Angeklagte konkludent wahrheitswidrig erklärt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen zur Abrechnung vorlagen. Auch der Apotheker, der am Abrechnungssystem der Krankenkassen teilnimmt, erklärt bei den Abrechnungen stillschweigend, dass er bestehende sozialrechtliche Erstattungsansprüche unter Einhaltung der abrechnungsrechtlichen Maßgaben geltend macht. Reicht jemand bewusst wahrheitswidrig Abrechnungen ein, die diese sozialrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllen, begeht er eine Täuschungshandlung. Es sei für die Annahme eines Irrtums auf Seiten der Krankenkasse bzw. der kassenärztlichen Vereinigung vollkommen ausreichend, dass die Mitarbeiter von der Rechtmäßigkeit und Abrechenbarkeit ausgegangen sind. Durch die (irrtumsbedingte) Auszahlung der Honorare habe die Kassenärztliche Vereinigung bzw. die Krankenkasse eine Vermögensverfügung vorgenommen. Diese habe unmittelbar zu einem Vermögensschaden geführt, da ein nicht geschuldetes Honorar gezahlt wurde, ohne hierdurch einen Gegenwert zu erhalten. Hierbei bleibt die medizinische Leistung, die bereits erbracht worden ist, außer Betracht. Der Bundesgerichtshof stellt fest: Ein Vertragsarzt, der Leistungen erbringt, ohne die sozialrechtlichen Voraussetzungen der kassenärztlichen Abrechnungen zu erfüllen, handelt letztlich außerhalb des vertragsärztlichen Abrechnungssystems auf eigenes wirtschaftliches Risiko. Gleiches gilt auch für den Apotheker, der einen nicht bestehenden Zahlungsanspruch geltend macht, obwohl die verordneten Medikamente ausgegeben worden sind. Entsteht daher nach dieser streng formalen Betrachtungsweise des Sozialversicherungsrechts
kein Vergütungsanspruch, ist – verfassungsrechtlich unbedenklich – derjenige betrügerisch geschädigt, dem ein solcher vorgespiegelt wird und der irrtumsbedingt darauf zahlt (vgl. hierzu BGH Urt. v. 19.08.2020, Az. 5 StR 558/19; bestätigt durch BVerfG, Beschl. v. 05.05.2021, Az. 2 BvR 2021/21).

Fazit – Leistungserbringer sollten aufhorchen
Auch in diesem nun durch sämtliche Instanzen gegangenen Fall bestätigt sich wieder der Grundsatz: bad cases make bad law. Nach den Feststellungen der Tatsacheninstanz hatten die Beteiligten durch Strohmann-Gestaltungen die sozialrechtlichen Vorschriften bewusst umgangen, um Umsätze zu generieren. An dem Vorsatz der Beteiligten bestand nach Auffassung der Richter kein Zweifel. Allerdings muss man sich darüber im Klaren sein, dass der Bundesgerichtshof sowie das Bundesverfassungsgericht solche Verfahren gerne zum Anlass nehmen, Grundsatzurteile zu sprechen. Die Verfassungsrichter haben auch hier diese Gelegenheit genutzt und klargestellt, dass es verfassungsrechtlich unbedenklich ist, beim Vermögensschaden im Sinne des § 263 StGB den streng formalen Schadensbegriff des Sozialversicherungsrechts zugrunde zu legen. Folgt man dieser Rechtsprechung, besteht ein hohes Risiko, dass fehlerhafte Abrechnungen durch Leistungserbringer vermehrt zu Ermittlungsverfahren wegen Abrechnungsbetrugs führen. Es reicht hier allein der Vorwurf aus, dass formale Vorgaben nicht ausreichend beachtet worden sind. Die Krankenkassen können sich zukünftig darauf stützen, dass diese Auffassung verfassungsrechtlich unbedenklich ist. Dies bedeutet auch, dass in Fällen der sogenannten Null-Retax immer das Risiko eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens im Raum steht. Um dieses Risiko zu minimieren, muss daher großer Wert auf die Richtigkeit der Abrechnung – auch in formaler Hinsicht – gelegt werden.

Download Artikel

© MTD-Verlag 2022 (www.mtd.de) Veröffentlicht in der Fachzeitschrift MTD Medizintechnischer Dialog

Zurück